FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl brachte es am Wahlabend auf den Punkt: Nahezu 60 Prozent der Österreicher hätten für die freiheitliche Programmatik gestimmt! Tatsächlich trifft dies zu, wenn man die FPÖ- und die ÖVP-Wähler zusammenzählt, da bekanntlich Kurz – insbesondere in Sachen Migrationsproblematik – die jahrelangen freiheitlichen Forderungen nahezu eins zu eins abgekupfert hat. Und das Thema Migration war das Hauptmotiv für die blauen und türkisen Wählerstimmen.
Wenn man nun weniger in Parteikategorien denkt und eher an das Wohl von Land und Leuten, müsste man eigentlich zufrieden sein, dass eine Traditionspartei wie die ÖVP die Argumente und Forderungen einer fundamentalen Opposition, wie es die Freiheitlichen durch lange Jahre waren, übernimmt. Die Wähler haben dem jungen, sich türkis eingefärbten schwarzen Parteichef diese Übernahme der freiheitlichen Forderungen abgenommen. Nahezu ein Drittel hat Kurz die Stimme gegeben. Satte 26 Prozent allerdings auch den Freiheitlichen.
Wahlversprechen und Wahlerfolge sind eine Sache. Die Einhaltung dieser Wahlversprechen ist eine andere. Das Gesetz des Handelns liegt diesbezüglich beim Wahlsieger Sebastian Kurz. Zweifellos erhält er in diesen Tagen vom Bundespräsidenten den Auftrag zur Regierungsbildung. Er muss also initiativ sein, wenn es also um Verhandlungen und Gespräche mit anderen Parteien geht.
Nun sind die Freiheitlichen gebrannte Kinder aufgrund der Entwicklung zwischen den Jahren 2000 und 2002 bzw. 2000 und 2006. Sie wurden damals vom großen Wahlverlierer Wolfgang Schüssel über den Tisch gezogen. Er hat massiv zu ihrem Scheitern beigetragen und konnte dann auch 2002 bei den vorgezogenen Nationalratswahlen einen grandiosen Sieg für seine Volkspartei einfahren – zu Lasten der FPÖ, die auf ein Drittel ihrer Wählerstimmen reduziert wurde. Dieses Schicksal wollen die Freiheitlichen verständlicherweise nicht noch einmal erleiden.
Zweifellos wird es auch von Seiten der geschlagenen SPÖ unsittliche Angebote gegenüber den Freiheitlichen geben, da sich die rote Reichshälfte nunmehr spiegelverkehrt für die Regierungsbildung 2000 revanchieren könnte. Für die erfolgreiche FPÖ des Heinz-Christian Strache allerdings wird sich die Frage stellen, welche Entscheidung sie als Königsmacher zum Wohle des Landes und seiner Menschen treffen werde müssen. In taktischer Hinsicht mag ein gemeinsamer Weg mit den Sozialdemokraten verlockender sein. Von der Programmatik her müsste man sich wohl mit Sebastian Kurz zusammentun, wenn, ja, wenn er wirklich ehrlich gewillt ist, seine Wahlversprechen umzusetzen, und wenn er in der Lage ist, einen freiheitlichen Koalitionspartner fair, offen und ehrlich in die Regierungsarbeit einzubinden.
Vielleicht aber steigt das Ganze dem jungen Wahlsieger zu Kopfe und er glaubt wie weiland Bruno Kreisky im Jahre 1970 mit einer Minderheitsregierung antreten zu können, nach deren parlamentarischem Scheitern er ein Jahr später Neuwahlen provoziert hätte, und hier dann noch stärker zu gewinnen hofft. Aber Kreisky ist der Herr Kurz halt doch keiner, und absolute Mehrheiten wie in den 70er Jahren sind heute, gleich für welche Partei, eher undenkbar. Aus all diesen Gründen ist die wahrscheinlichste und sinnvollste Regierungskonstellation halt doch Schwarz–Blau.
Nahezu unmittelbar und noch vor der Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses hat sich Kurz sein Brüsseler Briefing abgeholt. Damit wurden wohl schon im Vorfeld die Paradigmen für die gewünschten Optionen einer Regierungsbildung abgesteckt die da lauten, dass verlässliche Verfassungsmehrheiten für EU-Vertragsänderungen möglich sein MÜSSEN. Darum geht es und sonst um nichts und dafür darf der Neobundeskanzler auch seine Nebelgranaten einer türkisen Migrations- und Reformpolitik auf seinem heimischen Spielplatz zünden. Zumindest solange EU, Interessensgruppen, Länder und die hauseigenen Bünde stillhalten.
Für die FPÖ gilt wohl höchste Wachsamkeit, denn ein „über-den-Tisch-gezogen-werden 2.0“ würde sie nicht überleben.