Erdogan als Anti-Atatürk

Re-Islamisierung und autoritäre Staatsführung als Ziele des Präsidenten

Kein anderer Staatsmann wurde in der Türkei im Lauf des letzten Jahrhunderts mehr geliebt und gepriesen als Kemal Pascha Atatürk. Er, der die aus den Wirren des Zusammenbruchs des Osmanischen Reiches neuentstehende, dramatisch verkleinerte Türkei in die Moderne geführt hat, heraus aus dem islamischen Mittelalter, er, der das Gesicht des Landes in Richtung Europa gedreht hat, wurde mit Recht „Vater der Türken“ genannt. Ein Jahrhundert später möchte Recep Tayyip Erdogan, Chef einer islamistischen Partei, den Staatsgründer noch übertrumpfen. Und tatsächlich scheinen seine fanatischen Anhänger in ihm wenn schon nicht den Vater, so doch den Führer einer völlig neuen, völlig anderen Türkei zu sehen.

Während aber Atatürk das Land vor hundert Jahren modernisierte und zu verwestlichen versuchte, Rechtsstaat und freie Marktwirtschaft favorisierte und auch in gewissem Maße eine Demokratisierung, geht Erdogan heute den umgekehrten Weg: Re-Islamisierung und Abkehr vom Westen, Aushöhlung der Demokratie und offene Hinwendung zu einer autoritären Staatsführung, für die Rechtsstaat, Menschenrechte und Minderheitenrechte keine große Bedeutung mehr haben. Dass Erdogan bei der Richtung seines autoritären Präsidialsystems nicht nur die freien Medien und jede kritischen Opposition im eigenen Land niederknüppelt, sondern auch den offenen Bürgerkrieg mit den Kurden, immerhin fünf bis sechs Millionen Menschen im Osten der Türkei, riskiert, spricht für sich. Dass er auch das Ende des wirtschaftlichen Aufschwungs und der bislang massiven Wohlstandsentwicklung des Landes riskiert, um seine Vorstellung von einer islamischen, autoritären Türkei umzusetzen, ist ebenso aufschlussreich.

Und wenig verwunderlich ist dann schon, dass er den EU-Beitritt der kleinasiatischen Republik ganz offensichtlich durch die politischen Fakten, die er setzt, torpediert. Da geht es ihm augenscheinlich nur mehr darum, Förderungsmilliarden aus Brüssel abzuholen. Völlig irrational hingegen ist es, dass er die geopolitischen Chancen, die die Türkei unter seiner Führung im Nahen und Mittleren Osten und in der islamischen Welt gehabt hätte, ebenso zunichte gemacht hat. Seine aggressive Außenpolitik wird es mit Sicherheit verunmöglichen, dass die Türkei künftig als Paradebespiel einer modernen, demokratischen und islamischen Republik fungieren kann.

So stellt sich Recep Tayyip Erdogan, der starke Mann der Türkei, im beginnenden 21. Jahrhundert geradezu als Anti-Atatürk da. Während Kemal Pascha das Land nach einem verlorenen Weltkrieg zukunftsfähig machen wollte, was ihm teilweise auch gelang, scheint Sultan Erdogan die Türkei in eine düstere Vergangenheit von Unfreiheit und Unterdrückung und wohl auch wirtschaftlichen Niedergang – der Tourismus bricht bereits ein – zurückzuführen. Vorläufig steht die Mehrheit der Türken noch hinter ihm, wie lange dies so sein wird, wenn man auch in der einfachen türkischen Bevölkerung die Auswirkungen seiner Politik erkennen muss, bleibt abzuwarten. Tatsache ist jedenfalls, dass man sich in Europa nunmehr keine Illusionen machen sollte, und das, was die patriotischen, rechtsdemokratischen Parteien quer durch die EU schon immer verlangt haben, tun sollte: die Beitrittsverhandlungen sofort abzubrechen!

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