Erneuerer gegen Systemerhalter

Vom Kampf der Strukturkonservativen gegen ihre wertkonservativen Herausforderer

Es war der SPD- Vordenker Erhard Eppler, der in seinem Buch „Ende oder Wende“ im Jahr 1975 den Begriff des „Wertkonservativismus“ prägte. Das Wort „konservativ“ bezeichnete nach Eppler damals eine Politik, die sich für die Bewahrung der Natur, einer humanen und solidarischen menschlichen Gesellschaft sowie des Wertes und der Würde des Einzelnen einsetzt. Der Sozialdemokrat bezog sich damit   auf die in den 70er-Jahren erstarkende Umwelt- und Friedensbewegung, da diese die Herrschaftsstrukturen verändern wollte, um derartige ökologische und humanistische Werte zu erhalten. Im Gegensatz dazu sah Eppler im herkömmlichen konservativen Lager einen „Strukturkonservativismus“ verankert, dem es um die Erhaltung der vorhandenen Machtstrukturen ging. Der Begriff des „Strukturkonservativismus“ wurde dabei negativ besetzt, den Strukturkonservativen ginge es um „die Konservierung von Privilegien von Machtpositionen, von Herrschaft“.
Tatsächlich gibt es diese Auseinandersetzung zwischen wertkonservativen Herausforderern und strukturkonservativen Systembewahrern auch heute, allerdings unter weitgehend umgekehrten Vorzeichen. Nicht mehr umwelt- und friedensbewegte 68er sind es heute, die gegen christkonservative Machterhalter antreten. Nein, heute sind es wertkonservative Patrioten, die unter der Losung der Bewahrung der eigenen Kultur und der eigenen Heimat gegen die strukturkonservativen Machterhalter aus dem politisch korrekten Zeitgeist-Establishment aufbegehren. Das gegenwärtige Ringen um die Neubesetzung der österreichischen Staatsspitze spiegelt nunmehr genau diese Auseinandersetzung wider.  Tatsächlich ist der grüne Kandidat Alexander Van der Bellen der Repräsentant des politischen Machtkartells, des etablierten Politsystems. Nach dem offensichtlichen Versagen der roten und schwarzen Kandidaten im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl konnte sich Van der Bellen in der ursprünglichen Stichwahl der Unterstützung aller etablierten politischen Kräfte des Landes sicher sein. Zwar vermied es die VP-Führung, eine gewissermaßen amtliche Unterstützungserklärung abzugeben, durch das lautstarke Auftreten nahezu aller lebenden Alt-ÖVP-Obleute und zahlreicher regionaler ÖVP-Granden für Van der Bellen war es aber klar, wo die Volkspartei stand und steht. Im Hinblick auf die SPÖ gab es diesbezüglich ohnedies noch nie einen Zweifel und sogar die angeblich parteiunabhängige Kandidatin Griss ließ sich dazu verführen, noch kurz vor der Wahl ihre Unterstützung für Van der Bellen kundzutun. Sogar die Kirchenfürsten – mit Ausnahmen des Salzburger Nonkonformisten Laun – ließen ihre Unterstützung für Van der Bellen mehr oder weniger deutlich durchblicken. Damit gab es also wieder eine breite politisch korrekte Koalition von Systemerhalter aus allen politischen Parteien, den Kirchen, der Gewerkschaft und dem gesamten vorpolitischen Raum gegen den Kandidaten der bösen freiheitlichen Fundamental-Opposition, der bösen „Rechtspopulisten“.
Man darf nun davon ausgehen, dass Alexander Van der Bellen im Falle seiner Wahl in die Hofburg die unmittelbare und nahtlose Fortsetzung der bisherigen Bundespräsidenten, insbesondere des letzten, nämlich Heinz Fischer, sein dürfte. Natürlich würde er alle Prämissen des österreichischen Polit-Establishments völlig kritiklos erfüllen. Vom längst zur Staatsreligion erhobenen Pflichtantifaschismus bis hin zur kritiklosen EU-Bejubelung. Und wenn frühere Bundespräsidenten, insbesondere in den 50er und 60er-Jahren, noch wagten, eigene Meinungen zu postulieren, so wäre der neue grün gefärbte Systemerhaltungs-Präsident durch die Political Correctness absolut stromlinienförmig gegenüber dem Zeitgeist gepolt.
Nun mag das österreichische Staatsoberhaupt bei Erfüllung der politischen Usancen keine sonderlich starke politische Stellung haben, jedenfalls längst nicht vergleichbar mit dem französischen Staatspräsidenten, er ist aber immerhin das Staatsoberhaupt und damit ein Symbol, dessen Bedeutung die strukturkonservativen Systemerhalter durchaus einzuschätzen wissen. Folglich ist man bereit, mit allen Mitteln gegen einen Wechsel an der Staatsspitze zu kämpfen, genauso wie es Erhard Eppler vor bald 50 Jahren sah: Es geht um die „Konservierung von Privilegien, von Machtpositionen und Herrschaft“.
Wer also im Präsidentschaftswahlkampf der Vertreter des Strukturkonservativismus ist, steht außer Zweifel. Die in die Jahre gekommen Linken der 68er-Bewegung und die Grünen, die sich ursprünglich Systemveränderung auf die Fahne geschrieben hatten, sie sind längst ein Teil des Machtkartells, das sich in den Parteisekretariaten und in den Medienredaktionen fest verankert hat. Die Freiheitlichen – im Falle des gegenwärtigen Wahlkampfs eben der Kandidat Norbert Hofer – sind hingegen die Herausforderer dieses strukturkonservativen Machtkartells. Und sie sind auch Vertreter des Wertkonservativismus, wie es der sozialdemokratische Vordenker in den 1970er-Jahren definierte. Wenn sie sich nämlich den Wünschen der herrschenden ökonomischen Lobbys der multinationalen Konzerne widersetzen, treten sie für ökologische Werte ein. Und wenn sie sich den Machinationen des politisch-korrekten Machtkartells widersetzen und für Meinungsfreiheit und Demokratie und Bürgerrechte gegenüber den herrschenden Parteiapparaten auftreten, setzen sie sich für humanistische Werte ein.
Wir können somit einen längst vollzogenen Paradigmenwechsel erkennen, der die ewige Auseinandersetzung zwischen Strukturkonservativismus und Wertkonservativismus völlig umgedreht hat. Eine saturierte Linke, repräsentiert durch die Grünen, und ein ausgelaugtes großkoalitionäres Machtkartell durch die Restbestände von ÖVP und SPÖ stehen der Fundamental-Opposition neuer patriotischer Bewegungen gegenüber, die sich die Erhaltung der eigenen Kultur, der eigenen Heimat, der eigenen Solidarsysteme und der eigenen Souveränität gegenüber der Globalisierung und des Brüsseler Zentralismus verschrieben haben. Solcherart wertkonservative Kräfte mögen als „rechtspopulistisch“ abqualifiziert werden, die Werte, die sie vertreten, mögen von den politisch korrekten Linken als faschistoid und reaktionär verteufelt werden, Tatsache ist aber, dass die freiheitliche Fundamental-Opposition gleich wie ihre europäischen Schwesterparteien Wertkonservativismus im besten Sinne darstellen. Die strukturkonservativen Systemerhalter hingegen kämpfen mit Zähnen und Klauen um die Erhaltung ihrer Privilegien, Pfründe und Machtpositionen, sie kämpfen allerdings auf verlorenem Posten und weil sie das wissen, werden sie in der Wahl ihrer Mittel immer bedenkenloser.
Nun werden die Gründe, die den Verfassungsgerichtshof dazu bewegt haben, die Stichwahl aufzuheben, ja auf bloße Schlamperei, Behörden- und Beamtenversagen reduziert. Bewusste Manipulationen wurden ja nicht nachgewiesen (weil sie nicht nachgewiesen werden sollten) und ebenso wird die jetzige Verschiebung der neuerlichen Stichwahl auf Schlamperei und technische Probleme einer Herstellerfirma von Kuverts reduziert. Mag auch stimmen, Tatsache ist aber, dass das politische Establishment, die System- und Macherhalter allerdings dieses Faktum zu nützen versuchen. Zu nützen, indem sie den für sie günstigsten Wahltermin heraussuchen. Es wird mit Argusaugen auf die Entwicklung der Umfragen und der politischen Stimmung im Lande geachtet, um die Chancen der wertkonservativen Herausforderer zu minimieren. Demokratiepolitische Verantwortung und saubere Rechtsstaatlichkeit spielen in diesem Abwehrkampf der strukturkonservativen Machterhalter nur mehr eine untergeordnete Rolle. Wenn es um die Konservierung von Privilegien und Pfründen geht, um die Erhaltung von Machtpositionen und Herrschaftsansprüchen, ist man offenbar nur allzu schnell bereit, demokratische Gesinnung und republikanische Tugenden zu vergessen. Wer Österreich in den letzten Wochen und Monaten unvoreingenommen beobachtet hat und sich die politische Landschaft der Alpenrepublik vor Augen führte, der wird dies zweifellos bestätigen.

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