Nach dem Willen der Alliierten hätte es im Nachkriegs-Österreich keinen Platz für eine nationalliberale Partei geben sollen. Dennoch wurde die FPÖ gegründet, die dreimal in der Regierung vertreten war, einmal zusammen mit Rot, zweimal mit Schwarz. Bei allen Regierungsbeteiligungen stürzten die Freiheit lichen in der Wählergunst ab. Heute sind sie in Umfragen die unangefochtene Nummer 1.
Menschen pflegen in unseren Breiten im Alter von 60 Jahren bekanntlich den mehr oder minder wohlverdienten Ruhestand anzupeilen. Im Falle von politischen Bewegungen ist eine derart lange Zeitspanne des Bestehens zumeist Gewähr dafür, dass der Schmelz des Neuen und die damit verbundene Aufbruchsstimmung längst passé sind. Im Falle der beiden heimischen Regierungsparteien, die erst im Vorjahr ihren Siebziger begingen – zumindest was ihre Neugründung in der Zweiten Republik betrifft – wird dem auch kaum jemand widersprechen. Anders verhält es sich allerdings mit der größten Oppositionspartei der Republik, welche dieser Tage ihr 60-jähriges Bestandsjubiläum – wohl auch als Wahlkampf-Event für die Präsidentschaftswahl nutzbar – begeht.
Den einen im Bereich des politisch-medialen Establishments sind diese Freiheitlichen des Heinz-Christian Strache „xenophobe Hetzer“, den anderen „rechtspopulistische Mundwerksburschen“, die in der Bevölkerung Ressentiments und Ängste schüren. Und tendenziell immerhin für ein Drittel der Bevölkerung dürften sie – glaubt man den seit Jahr und Tag konstant drauf hinweisenden Umfragen – die einzige Hoffnung auf politischen Wandel und auf eine Rückbesinnung der Politik auf die vitalen Interessen des eigenen Landes und des eigenen Volkes sein. Wie auch immer, dem Urteil der etablierten Politikwissenschaft, dass diese im Jahre 1956 gegründete FPÖ eigentlich ein Betriebsunfall der jüngeren österreichischen Geschichte ist, kann man kaum widersprechen. Ein Betriebsunfall, weil es schlicht und einfach gemäß der Nachkriegsplanungen der alliierten Kriegssieger und der von ihnen lizensierten politischen Parteien im politischen System der Zweiten Republik keinen Platz hätte geben sollen für eine nationalliberale Partei. Die Deutschnationalen, das waren jene, die allein schon durch ihre Existenz der in der Moskauer Deklaration verbrieften Rolle Österreichs als „erstes Opfer des Hitler-Faschismus“ widersprachen. Und wenn es sie schon gab, dann sollten sie zumindest die Alleininhaber der Erblast der Naziverbrechen sein. Und somit sui generis von der Teilhabe an der politischen Gestaltung der wiedererrichteten Republik ausgeschlossen seien.
Allein der Ende der 40er Jahre aufflammende Kalte Krieg und das bereits damals kurios kurzsichtige Kalkül der beiden Großparteien ermöglichten eben diesen Betriebsunfall. Der Verband der Unabhängigen (VdU), die Vorläuferorganisation der FPÖ, im Wesentlichen eine Partei der ehemaligen (minderbelasteten) Nationalsozialisten, wurde nicht zufällig in Salzburg in der USamerikanischen Besatzungszone gegründet, von den zwei Journalisten Viktor Reimann und Herbert Alois Kraus, deren Kontakte zum amerikanischen Geheimdienst CIC nicht die schlechtesten gewesen sein dürften. Und als dann 1956, nach Abschluss des Staatsvertrages, eben die Freiheitliche Partei als dezidiert nationale Gruppierung aus der Taufe gehoben wurde, war einerseits das klamm-heimliche Wohlwollen der Sozialisten über eine künftige Spaltung der „rechten“ und „bürgerlichen“ Reichshälfte deutlich bemerkbar. Vice Versa trug es zweifelsfrei zum Wohlbehagen der ÖVP-Führung bei, wenn es dem VdU anfangs gelang, beispielsweise einen beträchtlichen Anteil der Linzer VOEST-Arbeiterschaft für sich zu gewinnen und somit der SPÖ abspenstig zu machen.
Und so kam es also, dass das Dritte Lager zuerst als politische Emanzipationsbewegung der ehemaligen, von der politischen Mitgestaltung ausgeschlossenen Nationalsozialisten und dann zunehmend im Rückgriff auf die klassische nationalliberale Honoratiorenpartei, wie man sie aus der Monarchie und der Ersten Republik kannte, auch in der politischen Landschaft der Zweiten Republik wieder eine Rolle spielte.
Nach der Parteigründung 1956 längst nicht in jener quantitativen Dimension, die man sich erhofft hatte – die deutschnationale Karte stach eben in zunehmend geringeren Maße – aber doch in beachtlicher parlamentarische Qualität. Die FPÖ-Abgeordneten der 60er Jahre, van Tongel, Brösigke, Zeillinger, Gredler, Mahnert, Scrinzi, sie prägten so manche Parlamentsdebatte der Vor-Kreisky- Ära. Und sie vermochten geschickt, die Rolle des Züngleins an der Waage zu spielen. Die Persönlichkeit des Parteigründers Anton Reinthaller entsprach noch völlig dem ursprünglichen Ziel des VdU und der frühen FPÖ, nämlich der Re-Integration ehemaliger Nationalsozialisten in das politische Gefüge der Republik.
Als hochrangiger NS-Bauernführer, der – dem Urteil seiner Zeitgenossen nach – persönlich integer und anständig geblieben und gewissermaßen als „Idealist“ politisch tätig gewesen war, brachte er nach den chaotischen Streitereien in der Endphase desVdU die nötige integrative Kraft auf. Sein Nachfolger Friedrich Peter, der die Partei immerhin zwei Jahrzehnte lang führte, wurde einerseits als Vertreter der Front-Generation wegen seines Kriegsdienste als Offizier der Waffen-SS akzeptiert, anderseits wurde ihm vom politischen Establishment seine demokratische Läuterung – unzweifelhaft mit maisonischer Unterstützung – insbesondere durch seine Bereitwilligkeit zur Kooperation mit den Sozialisten abgenommen.
Auf diese Weise konnte er mittels der Unterstützung der Kreiskyschen Minderheitsregierung im Jahre 1970 das kleinparteienfreundliche Wahlrecht erkämpfen und solcherart die weitere Existenz seiner Partei, die zwischen fünf und sieben Prozent herumzukrebsen pflegte, sichern. Und es gelang ihm gegen Ende der Ära Kreisky, eine Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen an der Seite der Sozialisten herbeizuführen. Dass sollte dann den vermeintlichen Durchbruch in die Reihen des politischen Establishment der Republik darstellen.
Dass Friedrich Peters Erbe, Norbert Steger, nach dem nur einjährigen Zwischenspiel der Obmannschaft des Grazer Bürgermeister Alexander Götz und dessen Tendenz zu einer „bürgerlichen“, eher ÖVP-orientierten Kooperation, die freiheitliche Präferenz für eine Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie fortführte, war selbstverständlich. Steger und die damals aus dem Attersee-Kreis kommende junge Garde der blauen Spitzenfunktionäre hatten in der Ära des Sozialdemokratismus und der Neuen Linken als einzige mögliche zukunftsfähige ideologische Orientierung eine strikte Hinwendung zu einem dezidiert liberalen Kurs definiert. „Kellernazis“ (O-Ton Norbert Steger) hätten in der Partei nichts zu suchen, die als eine „lupenrein liberale“ gleich wie das bundesdeutsche Vorbild FDP in einer länger andauernden Koalition mit den Sozialisten mitregieren wollte. Der darauffolgende Vertrauensverlust im Kernwählerbereich des nationalliberalen Lagers war ein dramatischer, und der daraus resultierende Aufstieg des Steger-Herausforderers Jörg Haider ein logischer. Sozialisiert in den verschiedenen Kernbereichen dieses Dritten Lagers, in der Pennalie, in akademischen Burschenschaften, vom Turnverein bis hin zum Ring Freiheitlicher Jungend und zum Attersee-Kreis, mochte der nach Kärnten migrierte Oberösterreicher sehr rasch auf allen politischen Klavieren zu spielen: Zuerst im Habitus des parlamentarischen Sozialrevolutionärs, dann in dem des Kärntner Heimatschützers und schließlich in jenem des fundamental-oppositionellen Herausforderers der rotschwarzen Koalition. In Zeiten, in denen Glasnost und Perestroika die Sowjetunion zur Abwicklung brachten, in denen der „real existierende Sozialismus“ mitsamt Ostblock und Warschauer-Pakt zusammenbrach, in einer Ära, in der sich auch die Parteienlandschaft in den westlichen Demokratien grundlegend wandelte, in einer solchen Zeit fand sich die von Wahl zu Wahl stärker werdende Haider-FPÖ plötzlich in der Rolle, wonach sich die kleine, aber feine nationalliberale Honoratiorenpartei zur systemüberwindenden Erneuerungsbewegung mauserte – zumindest im eigenen verbalen Anspruch.
In Kärnten schaffte Haider bereits 1989 den Durchbruch, um dann wegen des eigenen losen Mundwerks zwei Jahre später wieder zu scheitern. Im Bund gelang dieser Durchbruch zehn Jahre später im Jahr 1999: Die Haidersche Chuzpe, den offensichtlichen Wahlverlierer, ÖVP-Chef Schüssel, zum Bundeskanzler zu machen, und die nach wie vor stärkste Partei, die SPÖ, ebenso auszubremsen wie den widerwilligen, noch bei der Angelobung angeekelt dreinschauenden Bundespräsidenten, diese Chuzpe sucht in der Zweiten Republik schon ihresgleichen. „Österreich neu regieren“ und „der Marsch durch die Wüste Gobi“ sollten allerdings nur kurze Zeit möglich sein. Am populärsten war das blau–schwarze Kabinett wohl in den Monaten der EU-Sanktionen gegen Österreich. Nach der Implosion von Knittelfeld in seiner Neuauflage unter umgekehrten Vorzeichen, in derdie Schüssel-ÖVP mit „freiheitlicher Behinderung“ regierte, war das Ende mit Schrecken zumindest auf freiheitlicher Seite schon absehbar.
Die Erfolge dieser blau–schwarzen–orangen Regierung im Bereich des Wirtschaftsstandorts Österreich dürfen zwar nicht unerwähnt bleiben, der nach dem Abtreten dieser Regierung aufbrechende Korruptionssumpf – tunlich geschürt von den linkslastigen Medien –, der aus dem persönlichen Umfeld Jörg Haiders gespeist wurde, überdeckt diese Leistungen allerdings bis zum heutigen Tag.
Nachdem der widerspenstige Kernwählerbereich den politischen Kurs Haiders immer weniger gewillt war mitzutragen und dieser sich in wesentlichen Fragen nicht mehr durchzusetzen vermochte, glaubte er die Notbremse ziehen zu müssen. Und mit der Haiderschen Kopfgeburt „Bündnis Zukunft Österreich“ gab es nach Norbert Burgers Nationaldemokraten in den frühen 60er Jahren und Heide Schmidts Liberalen Forum in den frühen 90er Jahren die dritte Abspaltung von der FPÖ. So unterschiedlich diese drei Abspaltungsparteien waren, so sehr gleichen sie sich in der politischen Erfolglosigkeit. Und die mehrfach totgesagte FPÖ feierte fröhliche Urständ.
Nun war der Bärentaler zwar ohne Zweifel eine der schillerndsten politischen Persönlichkeiten der Zweiten Republik und auch eine der prägendsten. Jene Frage aber, die der alte Otto Schulmeister bei einem diskreten Mittagessen in Wiener „Schwarzen Kameel“ dem Autor dieser Zeilen Anfang der 90er Jahre gestellt hatte, nämlich ob denn Haider „eine catilinarische Persönlichkeit“ sei, kann man getrost mit Ja beantworten. Ein Volkstribun, ein Systemüberwinder und in vielen Ansätzen – bei denen es aber auch meist geblieben ist – auch ein Erneuerer war der Bärentaler.
Für Österreichs Freiheitliche über zwei Jahrzehnte Dreh- und Angelpunkt der Politik – im Guten wie im Schlechten. Sein ebenso catilinarischer Abgang – Phaeton versus Hydrant – erübrigt die Frage, wohin sein Kurs das freiheitliche Lager letztlich geführt hätte, ob zur seriellen Befassung der Korruptionsstaatsanwaltschaft oder wirklich zu einer anderen politischen Landschaft der Republik. Die FPÖ jedenfalls feierte unter H.-C. Strache, der zu Beginn seiner Karriere als billiges Haider-Plagiat abgetan wurde, fröhliche Urständ.
Die Unkenrufe und die Häme der politischen Mitbewerber sind nun längst verstummt, hat sich der indessen auch ins beste Mannesalter gekommene Oppositionsführer doch als politischer Steher erwiesen, mit langem Atem und bemerkenswerter Konsequenz. Dass der Aufstieg der Strache-FPÖ frappierend in Hinblick auf Wahlergebnisse und zeitliche Abstände an jenen der Haider-FPÖ erinnert, ist nur am Rande interessant. Wirklich bemerkenswert ist allerdings, dass das national-freiheitliche Lager, der Kernwählerbereich der FPÖ, in struktureller Hinsicht, aber auch in ideologischer eine beachtliche Überlebensfähigkeit beweist. Und dass dazu bei entsprechend gegebener Problemlage, konkret der Gefahren für die österreichische Identität und die Souveränität, ein guter Teil der Bevölkerung bereit und willens ist, den politischen Vorstellungen dieses Lagers und der Strahlkraft seiner Spitzen-Exponenten zu folgen. Man kann getrost darüber philosophieren, woran es liegt, dass Heinz-Christian Strache und die FPÖ nunmehr seit Jahr und Tag in allen Umfragen unangefochten an der Spitze stehen und dass sie in den ganz realen Ergebnissen der jüngsten Landtagswahlen wirklich erdrutschartige Siege einfuhren. Liegt es vorwiegend an der Schwäche der Mitbewerber, an der Sub-Mediokrität der Faymanns und Mitterlehners? Oder liegt es tatsächlich an den vitalen Überlebensfragen der Republik, die sich im evidenten EU-Versagen, in der nach wie vor tödlich schwelenden Staatsschuldenkrise und der Zivilinvasion aus dem Nahen Osten und der übrigen Dritten Welt mit dem drohenden Kollaps des gewachsenen Sozialsystems äußern? Oder ist es primär das Charisma des Oppositionsführers, das hier gut ein Drittel der Österreicher beeindruckt?
Wahrscheinlich ist es von allem etwas. Unbestreitbar aber ist, dass durch die dadurch gegebene Stärke der FPÖ die Übernahme von Regierungsverantwortung in einer quantitativ wie qualitativ völlig anderen Art und Weise möglich erscheint, wie dies seinerzeit unter Haider und zuvor unter Steger der Fall war. Nun könnte man tatsächlich einmal nicht als Juniorpartner oder als Mehrheitsbeschaffer in eine Regierung gehen, sondern als dominanter und bestimmender Faktor. Gewiss ist das zweimalige Scheitern der FPÖ in einer Regierungskoalition, das eine Mal in Kooperation mit den Sozialisten, das andere Mal in einer solchen mit der Volkspartei, nicht auf eine generelle Regierungsunfähigkeit der Partei zurückzuführen. Zuallererst lag es vielmehr wohl daran, dass man in beiden Koalitionsvarianten schlicht und einfach zu schwach war, die eigenen Inhalte wirklich durchzusetzen. Mit einem Wahlergebnis von kaum fünf Prozent war man im Jahre 1983 eben wirklich nur der Mehrheitsbeschaffer für die Post-Kreisky-SPÖ. Und im Jahre 2000 musste man mittels der erzwungenen Präambel zum Regierungsübereinkommen mit der ÖVP vorweg zentralen freiheitlichen Inhalten, wie etwa der EU-Kritik, abschwören. Zwei Jahre später, nach der Implosion von Knittelfeld, war man wiederrum nur mehr Mehrheitsbeschaffer für die siegreiche Schüssel-ÖVP. Regierungsarbeit wirklich zu prägen, vermochte man also in beiden Koalitionen nicht.
Das dritte Mal will man es nun klüger, grundsatzorientierter und prinzipientreuer anstellen! Sollte die FPÖ, wie alle Umfragen gegenwärtig ausweisen, tatsächlich bei der nächsten Nationalratswahl stärkste Partei werden und damit den Kanzleranspruch erheben können, wäre dies wohl wirklich der Auftakt zu einer neuen und damit Dritten Republik. Gewiss nicht zu einer autoritären, wie man es mit Hinweis auf Polen und auf Ungarn von seiten der FPÖ-Gegner behauptet. Wohl aber zweifellos wäre das endgültige Ende des bipolaren rot–schwarzen Proporzsystems und der Auftaktzu einer erneuerten und stärkeren Betonung der österreichischen Souveränität und der Beginn der bewussten Pflege der österreichischen Identität in kultureller Hinsicht. Dass Entwicklungen dieser Art dem Land und seinen Leuten dienlich wären, darf man getrost annehmen.