Arabischer Völkerfrühling?

Zweckoptimisten und mediale Schönredner des Weltgeschehens sehen schon so etwas wie einen arabischen Völkerfrühling heraufdämmern. Angesichts der Ereignisse in Tunesien und nun in Ägypten erwarten sie einen Flächenbrand in der arabischen Welt, der die diversen Diktaturen, Despotien und im besten Falle Halbdemokratien hinweg fegt, um neue pluralistische und demokratische Gesellschaften entstehen zu lassen. Nicht das iranische Modell mit der Machtübernahme muslimischer Fundamentalisten, sondern das türkische Modell mit einem demokratisch eingebundenen und vorgeblich gemäßigten Islamismus werde sich durchsetzen. Und darüber hinaus könne man erwarten, dass das, was die Arabische Liga in Jahrzehnten von oben nicht geschafft hat, nämlich die Etablierung einer arabischen Staatengemeinschaft, sich nun in einer gesamtarabischen, demokratischen Revolution durchsetzen werde.

So weit so schön und wünschenswert, von den Realitäten aber doch ziemlich entfernt. Für die Etablierung demokratischer und pluralistischer Systeme, wie wir sie etwa in Europa kennen, bedarf es nämlich strukturierter, politischer Landschaften und konkreter demokratisch orientierter, politsicher Bewegungen. Und wo gibt es solche wirklich in der arabischen Welt? Keineswegs zufällig haben sich sowohl in Tunesien als auch in Ägypten kaum politische Köpfe und klar umrissene politische Bewegungen in den Tagen der revolutionären Umwälzungen durchsetzen können. Internet, Facebook und Twitter mögen neue Kommunikationsschienen eröffnen, um Massenproteste zu organisieren. Demokratische Parteien oder zumindest klar umrissene politische Bewegungen vermögen sie aber keineswegs zu ersetzen.

Das was neben den jeweiligen Staatsparteien und ihren mehr oder weniger despotischen Führern in den arabischen Staaten Nordafrikas und in den arabischen Königreichen von Saudi-Arabien über Jordanien bis nach Marokko erkennbar ist, sind allenfalls mehr oder minder fundamentalistische islamische Bewegungen, wie im Falle Ägyptens die Moslem-Bruderschaft. Es mag zwar sein, dass auch diese von den mittels Facebook und Twitter motivierten Massendemonstrationen auf den Straßen überrascht wurden, es liegt aber in der Natur der Dinge, dass sie mit fortschreitendem Umsturz die Gunst der Stunde zu nützen versuchen werden. Und damit könnte sich nach einer in Ansätzen demokratischen Zwischenphase dieser revolutionären Umwälzungen denn doch das Iranische Modell durchsetzen. So wie bei Wahlen im Gaza-Streifen und im Libanon könnten sich in einem Großteil der arabischen Staaten die radikalen Kräfte, die fundamentalistischen Moslems als Nutznießner des Umsturzes erweisen. Sie sind die einzigen, die neben den gestürzten Staatsparteien der alten langgedienten Diktatoren über Organisation, politische Strukturen und klare ideologische Ziele verfügen. Ihre erklärte Absicht ist es, islamische Gottesstaaten zu errichten.

Eine Horrorvorstellung für den Westen, nicht nur für die US-Amerikaner, auch für die EU-Europäer. Solche Gottesstaaten und das wissen wir spätestens seit der Errichtung des Mullah-Regimes im Iran, sind natürlich um nichts demokratischer als die bisherigen pro-westlichen Diktaturen. Sie sind vielleicht weniger korrupt aber sie werden zweifellos in strikter Gegnerschaft gegenüber dem Westen und zwar eben auch gegenüber den Europäern ihre Politik gestalten. Dass damit der kalte Frieden im Nah-Ost-Konflikt, der ja eher ein Waffenstillstand zwischen Israel und der arabischen Welt war, wieder in eine heiße Phase der Auseinandersetzung übergehen würde, steht auch außer Zweifel. Und dass es damit zu einer weiteren Radikalisierung auch des Zuwanderungs-Islams in Europa käme, ist auch anzunehmen.

Was also könnten die Europäer tun, um den Veränderungsprozess in der arabischen Welt so zu beeinflussen, dass es zu einer solchen verhängnisvollen Entwicklung nicht kommen kann. Ratlosigkeit herrscht gegenwärtig ja in Brüssel und in den europäischen Staatskanzleien vor. Soll man den pro-westlichen Mubarak zumindest verbal noch unterstützen oder voll auf die demonstrierenden Volksmassen setzen? Wer wie die Europäer ständig von Demokratie und Freiheit spricht, kann auf Dauer schwer auf Diktaturen setzen, das steht außer Zweifel. Und auf die Moslem-Brüder noch viel weniger. Da bleibt dann also nur noch strikte Nichteinmischung oder – und das wäre vielleicht eine interessante Denkvariante –beim Aufbau demokratischer, pluralistischer Polit-Strukturen behilflich zu sein.

So wie sich nach 1989 die ehemaligen kommunistischen Parteien Osteuropas mit westlicher Hilfe in sozialdemokratische Bewegungen umwandelten, so wie konservative Parteien ihre Schwesterbewegungen im Osten unterstützen, so wie Liberale und Grüne neue Bewegungen initiierten, so könnte man bei einigem Optimismus dies auch in der arabischen Welt unterstützen: Die bisherigen Staatsparteien der vormaligen Diktatoren könnten sich schrittweise in demokratische, konservative, pro-westliche Bewegungen umwandeln. Es könnten sozialdemokratisch orientierte Parteien entstehen, auch Liberale und zweifelsohne – sicher mit einer gewissen Stärke – auch islamistische.

Die Entwicklung von Rechtsstaat und freier Marktwirtschaft, jener beiden Elemente ohne die Demokratie nicht wirklich funktionieren kann, müsste seitens der Europäer natürlich auch gefördert werden. Entwicklungen also, die nicht in wenigen revolutionären Tagen eingeleitet werden können, sondern die über Jahre wenn nicht gar über Generationen vorangetrieben werden müssten. Angesicht der arabischen Realitäten gehört schon sehr viel Optimismus dazu, um an die Realisierung einer solchen Option zu glauben.

3 Responses to Arabischer Völkerfrühling?

  1. Bertha sagt:

    Natürlich wäre es wünschenswert wenn sich Länder wie Tunesien oder Ägypten in ein demokratisches Land nach europäischen Beispiel entwickeln, doch wird wohl noch sehr viel Wasser die Donau abwärts fließen, bis das geschafft ist. Die Bewohner dieser Länder denken ganz anders als Europäer und müssen sich wohl erst umstellen und ändern bevor dieses Ziel der Demokratie erreicht ist.

  2. der bub sagt:

    musste sehr lachen, als ich heute die reuters-meldung las, dass mubarak zurücktreten würde, würde er sich nicht fürchten, dadurch das land ins chaos zu stürzen – das ist geradezu lächerlich!

  3. mrs.poppins sagt:

    Ein Diktatorisches Regime ist meines Erachtens nach generell abzulehnen. Klar, dass Diktatoren sowie westliche Staaten Bündnisse eingehen müssen, nur ob das auch immer der richtige Weg ist, bleibt zu bezweifeln. Halte es in dem Fall mit Goethe´s zauberlehrling: Die Geister die du riefst, wirst Du nicht mehr los…

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